idemix hat geschrieben: ↑26. Oktober 2017 11:39
Ich möchte zum eigentlichen Thema des Threads zurückkommen und nun - mit dem nötigen Abstand zum ersten Lesen, einige grundsätzliche Überlegungen anbringen:
Grundsätzlich ist es wohl menschlich, bei Dingen die man früher mochte, das Alte geradezu verklärt zu betrachten und dort großzügig über Schwächen hinwegzusehen, dem Neuen hingegen mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Ein Beispiel außerhalb der Asterix-Welt sind hier die Simpsons: in einschlägigen Foren liest man sehr häufig die Meinung, die Simpsons seien früher mal sehr gut gewesen, aber nach den ersten (beliebige Zahl einsetzen) Staffeln hätten sie stark nachgelassen. Seit geraumer Zeit seien sie weder lustig noch gesellschaftskritisch und die Figuren würden sich teilweise entgegen ihrem Charakter verhalten..
Ich selbst habe erst sehr spät angefangen, die Simpsons zu sehen. Als Kind konnte ich mit diesen merkwürdigen gelben Figuren nichts anfangen. Erst als ich als Erwachsener mal zufällig eine richtig gute, gesellschaftskritische, Folge sah, begann ich sie zu mögen. Und da ich nun diesen verklärten Blick auf die frühen Folgen nicht habe, muss ich sagen, dass mir teilweise die Neueren sogar besser gefallen als die ganz Alten. Was zum Teil wohl auch an der zeichnerischen Darstellung der Figuren liegt (in manchen sehr alten Folgen sehen sie noch etwas unausgeprägt aus).
Eine Parallele dazu aus persönlicher Erfahrung nun zu Asterix. Ich bin mit meinen 40 Jahren zu jung, um bereits zu Goscinny-Zeiten neue Bände kritisch (im Sinne von Rezensionen oder Meinungen zum Band) gelesen zu haben. Mein allererster Asterix-Band war der „Sohn“, den ich als Grundschulkind geschenkt bekam. In der Folge habe ich alle Bände in zufälliger Reihenfolge gelesen (so wie sie eben gerade in der Bibliothek verfügbar waren oder ich sie geschenkt bekam, bzw. etwas später: in der Reihenfolge wie ich sie eben zufällig kaufte). Ich habe deshalb z.B. „Gallier“ und „Sichel“ erst sehr spät gelesen, lange nach „Morgenland“. Nun, Morgenland war als Kind einer meiner absoluten Lieblingsbände – und immer noch steht er in meinem persönlichen Ranking weit oben. Dies wohl auch deshalb, da die Kritikpunkte (fliegende Teppiche, usw.) für mich wie selbstverständlich zum Asterix-Universum gehörten, da ich bereits als unkritisches Kind damit vertraut wurde – damals wusste ich ja noch nichts über die Hintergründe (Goscinny's Tod).
„Gallier“ und „Sichel“ haben mir damals (im Vergleich mit bereits vorher gelesenen genialen Bänden) nicht sehr gefallen und ich halte sie – natürlich im vollen Bewusstsein, dass diese Bände das Asterix-Universum begründet haben, dass die Figuren und der Rahmen damals noch nicht ausgereift waren, usw… - immer noch als eher schwache Bände; nur Latraviata, Kreuzfahrt und Gefahr halte ich für noch schlechter (wobei ich mir bei Latraviata nicht sicher bin, ob das nicht zum Teil an der Übersetzung liegt).
Sogar noch die „Goten“ halte ich nicht für das Meisterwerk, als dass es viele sehen. Es gibt dort zwar legendäre Zitate (herausragendes Beispiel ist hier natürlich: „Sie sind so dumm und ich bin ihr Chef“) und lustige Running-Gags (z.B. der Grenzsoldat, der ständig „falsche“ Invasionen meldet). Aber sonst finde ich die Handlung nicht so herausragend und im Karnutenwald halte ich Miraculix für etwas überheblich („ich bin mir sicher, dass ich gewinnen werde“) – das entspricht nicht dem Bild von Miraculix, dass ich aus späteren (aber vorher gelesenen) Bänden von ihm habe. Und wenn man jetzt kritisiert, dass Asterix grundlos einen Konkurrenten schlägt und Obelix die "Hells Angels" aus dem Rennen wirft, dann halte ich dies geradezu als Kavaliersdelikte im Vergleich dazu, dass bei Goten im vollen Bewusstsein der Folgen einfach mal ganz bewusst ein langjähriger Bürgerkrieg angezettelt wird.
In meinem persönlichen Ranking schlägt beim direkten Vergleich der Erstwerke „Pikten“ den „Gallier“, „Papyrus“ schlägt „Sichel“ und „Italien“ ist eher noch vor „Goten“ angesiedelt. Dieser Vergleich ist natürlich unfair, Ferri/Conrad können auf etwas Funktionierendes aufbauen, Goscinny/Uderzo mussten den Rahmen erst noch erfinden. Aber genauso unfair ist es, die neuen Bände ständig nur mit den besten Goscinny-Alben zu vergleichen.
Wenn ich nun die heutigen Kritiken an die neuen Bände betrachte, dann fällt mir immer der Vergleich mit „Morgenland“ ein: ich denke, tendenziell gefällt „Morgenland“ eher jenen, die den Band noch als Kind unvoreingenommen kennen gelernt haben. Und er missfällt eher jenen, die bereits damals alt genug waren, um bewusst Vergleiche zu früheren Alben zu ziehen.
Ich denke deshalb, wenn ich „Papyrus“ und „Italien“ als Kind kennen gelernt hätte, dann würde ich die beiden Bände wie selbstverständlich irgendwo im Mittelfeld einreihen.
Übrigens: ich habe nun im Zuge der Euphorie des neuen Albums auch „Papyrus“ noch einmal gelesen. Und ich war selbst überrascht darüber, wie gut der Band mir nun, nach zwei Jahren, gefallen hat. Und auch darüber, wie viel von der Handlung und den Zitaten ich in diesen zwei Jahren bereits vergessen hatte. Während mir die Handlung der alten Bände (bis einschließlich Maestria) immer noch sehr gut vertraut ist und ich große Teile davon früher mal beinahe auswendig kannte, ist das bei den neueren Bänden nicht mehr der Fall.
Ich bin mal gespannt, wie gut mir „Italien“ gefallen wird, wenn ich den Band in einigen Monaten wieder in die Hand nehme.
Ich habe ihn nun mehrmals gelesen und er gefiel mir eigentlich bei jedem Lesen besser. Ich kann viele Kritikpunkte nicht nachvollziehen (Methusalix, Cäsar), teile jedoch einen häufig genannten Punkt: die Story selbst plätschert so dahin und hat keine richtige Struktur, im Sinne eines Handlungsstrangs der sich entwickelt, Spannung aufbaut und in einem Höhepunkt mündet. Hier ist es einfach so, dass die Gallier irgendwann im Ziel angelangen und anscheinend nur aus irgendeiner zufälligen Fügung heraus auch noch gewinnen. Vielleicht wäre es gar nicht so schwierig gewesen, dem entgegenzuwirken: wenn nach jeder Etappe die Position in der Rangliste kurz thematisiert und die Siegeschancen erörtert worden wären. Und vielleicht auch unterwegs das eine oder andere mal ein Bezug dazu („wir liegen gerade an fünfter Stelle und müssen aufholen“ oder in der letzten Etappe „wir können das Rennen noch gewinnen“), dann würde der Handlungsstrang mit dem tatsächlichen Sieg ihren Höhepunkt finden.
Ich kann einer weiteren viel gelesenen Aussage sehr viel abgewinnen: es ist wohl tatsächlich so, dass Ferri mehr Seiten benötigen würde, um eine Story gut erzählen zu können. Dass die Karikatur der italienischen Völker etwas untergegangen ist, das ist wohl vor allem auch der für Ferri zu geringen Seitenzahl zuzuschreiben, die es nicht zulässt sowohl Wagenfahrer aus verschiedenen Kulturen zu karikieren (was aus meiner Sicht wirklich sehr gut gelungen ist) und darüber hinaus auch noch die Völker der durchreisten Gebiete.
Wenn man über meinen Hauptkritikpunkt (Handlungsstrang) großzügig hinweg sieht, dann funktioniert der Band für mich sehr gut. Die Gags, die zeichnerischen Details, die Karikierung der Teilnehmer am Rennen (auch jene, auf die nicht näher eingegangen wird: z.B. der Helvetische Wagen), die kurzweilige Handlung (im Sinne, dass ich niemals das Gefühl hatte, eine Szene ziehe sich zu sehr in die Länge oder sei gar nur deshalb eingefügt worden, weil man keine bessere Idee hatte),… usw. Also für mich haben Ferri/Conrad hier sehr vieles gut und richtig gemacht. Natürlich reihe auch ich „Italien“ nicht unter die allerbesten Bände. Aber ich finde es auch vermessen zu glauben, dass es ein neuer Band jemals schaffen könnte, in meine persönlichen Top10 vorzudringen. Bände wie Briten, Legionär, Schweizer etc. (und für mich gehört hier nach wie vor auch Morgenland dazu) wären wohl für jeden unerreichbar. Dies zu einem Teil wohl auch aufgrund meines eigenen, verklärten Blickes auf diese für mich besten Bände.
Schlussgedanke: Ich denke, Ferri und Conrad sollten gar nicht erst versuchen, eingefleischte Fans zufriedenzustellen. Dies ist nämlich ein Ding der Unmöglichkeit. Wie sie es auch machen, es wird immer Kritik geben. Bauen sie auf altbewährte Running-Gags und ähnlich schon da gewesene Witze und Wortspiele: dann heißt es, sie seien ideenlos, es fehle Ihnen der Mut ausgetretene Pfade zu verlassen und es gebe keine Weiterentwicklung der Charaktere und (Bsp. Piraten) einiges wirke als nur deshalb gemacht, weil eben eine Reihe von Pflichtelementen eingebaut werden musste.
Versuchen sie hingegen neue Elemente hineinzubringen, einigen ausgesuchten Charakteren etwas mehr Gewicht zu geben, diese gar weiterzuentwickeln oder mehr in die Handlung einfließen zu lassen, dann kommt der Vorwurf, die Figur würde verfälscht und verhalte sich nicht mehr wie sie selbst (siehe am aktuellen Beispiel Methusalix – oder auch an Obelix) und es fehle die Kontinuität zu den früheren Bänden und überhaupt habe man nicht verstanden, wie Goscinny die Figuren/das Umfeld/die Asterixwelt/... dargestellt hatte.
Die beiden sind aus meiner Sicht gut beraten, wenn sie sich von den Kritiken nicht zu sehr verunsichern lassen und auch in Zukunft einfach nur versuchen, mit bestem Wissen und Gewissen eine schöne und lustige Geschichte zu erzählen, die für sie selbst gut in die Asterixwelt passt. Dies ist ihnen aus meiner Sicht sowohl bei „Papyrus“ als auch bei „Italien“ schon mal gut gelungen (und die Pikten schließe ich hier und jetzt nur deshalb nicht mit ein, weil ich den Band seit 2 Jahren nicht mehr gelesen habe und mich nicht mehr genügend daran erinnere, um mir ein Urteil darüber anzumaßen - wie gesagt hat mir ja auch "Papyrus" jetzt besser gefallen, als ich ihn in Erinnerung hatte).